Klaus Engel, Vorstandsvorsitzender von Evonik Industries AG, hält es angesichts des massenhaften Zustroms von Flüchtlingen für notwendig, dass sich Deutschland ein neues Leitbild gibt.
In einer Grundsatzrede vor 150 Gästen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Medien im Berliner China-Club am 10. September 2015 sagte der Chef des Essener Spezialchemie-Unternehmens: „Deutschland ist heute das Land der Sehnsucht und Ziel millionenfachen utopischen Hoffens und Strebens.“ Das Land stehe angesichts der Flüchtlingsströme in seiner größten Bewährungsprobe seit Jahrzehnten.
Er erinnerte daran, dass Generationen von Deutschen und Europäern der „American Dream“ bewegt habe. Der amerikanische Traum sei für den Siedler „sein Stern im Westen“ gewesen. Nun stelle sich die Frage, was sei der Stern, der die Flüchtlinge heute über stürmische See nach Deutschland leite?
Die deutsche Antwort ähnele doch sehr der amerikanischen: „Die Gründe für die Flucht aus der Heimat sind immer vielfältig: Krieg, Elend, Armut, politische Verfolgung, Korruption sowie durch Staats- und Eliteversagen zerstörte Zivilgesellschaften, in denen kein menschenwürdiges Leben mehr möglich ist.“ Deshalb mache die Unterscheidung von Flüchtlingen nach politischen und wirtschaftlichen Motiven der Flucht eigentlich wenig Sinn. Die Leute, die kommen, wollten nicht nach Ungarn, Estland oder Dänemark, sondern nach Deutschland.
Den „German Dream“ definierte Engel so: „Unser Traum ist die Soziale Marktwirtschaft, die jedem die Chance gibt, durch Bildung und Qualifikation den sozialen Aufstieg zu meistern und an der Gesellschaft und Kultur teilzuhaben.“
Der „German Dream“, so der Evonik-Chef weiter, beruhe auf dem Versprechen des Friedens. Deutschland habe sich aufgrund seiner historischen Verantwortung auf die friedliche Lösung von Konflikten verpflichtet. Dieses Friedensversprechen gründe auch auf der politischen Stabilität der sozialen Marktwirtschaft, die soziale Sicherheit sowie Teilhabe und gesellschaftliche Integration und Anerkennung durch Erwerbsarbeit und Bildung garantiert.
„Das Friedensversprechen und der Wohlstand unseres Landes üben auf Millionen Menschen eine ungeheure Anziehungskraft aus“, so Engel. Vor diesem Hintergrund mache es wenig Sinn, den Menschen die in Budapest vor dem Bahnhof „Germany! Germany!“ riefen, die Einreise nach Deutschland zu erschweren oder in der EU über ihre Verteilung auf andere Länder zu streiten. „Diese Menschen werden trotz aller Zäune und Auffanglager an den EU-Außengrenzen versuchen, ihren deutschen Traum zu verwirklichen.“
Auf die Diskussion um die finanziellen Lasten des Flüchtlingszustroms eingehend, sagte Engel, die Frage der Kosten dürfe nicht die einzige Betrachtungsweise sein. „Die Zuwanderung ist für unser Land eine lohnende Investition in die Zukunft.“ Deutschland brauche mehr Arbeits- und Fachkräfte und die Wirtschaft mehr Vielfalt. Nur diese Vielfalt mobilisiere die ökonomischen, kreativen und innovativen Potenziale der Gesellschaft und schaffe damit in der Wirtschaft höhere Produktivität und mehr Innovationen. „Denn mit den Menschen kommen ihre Ideen“, betonte Engel.
Er bekräftigte seine Forderung nach einem modernen Einwanderungsgesetz. „Wir brauchen ein Gesetz, das transparente und einheitliche Regeln für die Arbeitsaufnahme von Zuwanderern schafft. Ein solches Gesetz soll eine freundliche Einladung sein und von dem Geist getragen werden, in unserem Land am Wachstum mitzuarbeiten und am Wohlstand teilzuhaben.“ Einwanderung dürfe aber nicht nur unter Kosten-Nutzen-Kalkülen betrachtet werden. Zu einer Einwanderungspolitik und einer glaubwürdigen Willkommenskultur gehöre, dass humanitäre Werte nicht aufgegeben werden. „Denn wer Menschen nur nach Leistung bewertet, der verliert die Chance auf eine Gesellschaft, die Stärken aus ihrer Vielfalt zieht. Menschlichkeit und Mitgefühl gehören untrennbar zum neuen Leitbild des Deutschen Traums. Das Friedensversprechen unseres Landes beruht auf Empathie, auf Einfühlungsvermögen für unsere Nachbarn, mit denen wir in Frieden leben wollen, aber auch für die Fremden, die wir in der Mitte unserer Gesellschaft willkommen heißen“, so Engel.
Das Manuskript der gesamten Rede finden Sie unter:
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